In diesem Blogbeitrag erzähle ich die Geschichte meines Whistleblower-Countdowns als "Drama in 20 Quellen". Mein YouTube-Video hier ist eng verflochten mit den nachfolgenden Quellen und erzählt ebenfalls erstmals die Geschichte, wie ich aufgrund eines "Dokumentarfilms" von kla.tv über einen Whistleblowerskandal (Challenger-Katastrophe der NASA) selbst zum Whistleblower wurde. Mein Whistleblower-Countdown startete am 10. Juli 2016 mit Tag 50 und endete mit Tag 0: Am 29. August 2016, dem Tag meines OCG-Ausstiegs.
Hier veröffentliche ich heute dazu erstmals Original-Scans meiner damaligen Tagebucheinträge. Dieser Blogbeitrag ist damit sowohl Quellensammlung als auch Vertiefung dieser ganzen Geschichte. Die Tagebucheinträge sind chronologisch geordnet und mit Anmerkungen versehen, sodass man diese Quellensammlung auch eigenständig und fliessend durchlesen kann. Geschwärzt bzw. gekürzt habe ich Tagebuchstellen, die zu sehr in die Intimsphäre aller Beteiligten eingreifen.
Ich bin mir bewusst, dass ich damit sehr viel – vielleicht zu viel – preisgebe. Trotzdem tue ich es. Ich tue es einerseits, um den OCG-internen Legenden über meinen Ausstieg zu begegnen. Andererseits, um der Öffentlichkeit einen Einblick in die Arbeitsweise von kla.tv zu geben. Insofern betätige ich mich mit dieser heutigen Veröffentlichung erneut als Whistleblower.
Sind Whistleblower Verräter? Nein. Sie sind auch keine Nestbeschmutzer sondern Nestreiniger. Man muss ihr Potenzial nur rechtzeitig nutzen. Per definitionem sind Whistleblower Insider, die Missstände in einer Organisation feststellen und danach ein Risiko auf sich nehmen, um einer Stelle, der sie Handlungsmacht zutrauen, Hinweise darauf zu geben. In aller Regel versuchen sie das zuerst auf dem internen Dienstweg. Dringen sie intern nicht durch, müssen sie sich entscheiden: Entweder sie schweigen oder sie wenden sich an externe Stellen bzw. sogar an die Öffentlichkeit. Whistleblowing ist der Stich ins Herz von Korruption und Machtmissbrauch, ein unverzichtbares Werkzeug für Rechtsstaat und Demokratie.
Die hier veröffentlichten Tagebucheinträge handeln von meinem letzten Versuch, OCG-intern auf einen gravierenden Missstand bei kla.tv hinzuweisen und damit eine Veränderung anzustossen. Hingegen lasse ich Tagebucheinträge, die meine Ausstiegsplanung behandeln und insbesondere die letzten 20 Tage des nervenzehrenden Ausstiegscountdowns beiseite. Ich bin noch nicht bereit, auch diese Geschichte zu erzählen.
Allerdings veröffentliche ich heute erstmals alle meine Tagebucheinträge meines schickalhaften Tages 0, des 29. August 2016. Ungekürzt und unverändert (Quellen 15-17).
Zum Schluss dieser Einleitung bleibt zu erwähnen, dass ich in der heissesten Phase vor meinem Ausstieg neben meinem handschriftlichen Tagebuch auch ein zweites und geheimes Tagebuch auf meinem Computer führen musste. Mein handschriftliches Tagebuch durfte meine Frau Mia jederzeit lesen (siehe Quelle 15, Ziff. 3 und Quelle 14, Ziff. 1). Ich nenne meine handschriftlichen Einträge ins gewöhnliche Tagebuch hier darum «Light-Version» und die auf dem Computer verfassten Einträge «Klartext».
Hier kommt die Geschichte meines Whistleblower-Countdowns.
Personen
Herr (Gott)
Ivo Sasek (Pa): OCG-Führer
Anni Sasek (Mami): Frau des OCG-Führes
Zita: Seniorpartnerin OCG-Regie (rechte Hand von Pa)
Daniela: Seniorpartnerin OCG-Regie
Bettina: Seniorpartnerin OCG-Regie
Ruth: Seniorpartnerin OCG-Regie
Lois: Juniorpartnerin OCG-Regie und Schwester
Elmira (Mia): Meine Frau
Ich: Juniorpartner OCG-Regie
Quelle 01
Ich beginne mit einem exemplarischen Tagebucheintrag meiner Jahre 2010-2011, aus dem hervorgeht, warum ich schon vor meinem ersten Ausstiegsversuch im Jahr 2011 regelmässig über den Ausstieg aus der OCG nachdachte.
04. März 2010, Donnerstag
Es geht mir nicht mehr gut. Mein ganzes Leben wackelt. Bin gestern mit Pa kollidiert (…)
So sind wir gestern wieder in der Thematik ums 3. Reich kollidiert. Er solidarisiert sich mit Hitler, ich habe Panik davor. Er war zu Tränen gerührt bei der Lektüre von «Mein Kampf», fand seinen Leidensgenossen, der ihm die Welt simpel und einfach erklärte. Ich hörte aus jedem Wort einen potenziellen Machtmenschen und Diktator sprechen. Pa las uns des öfteren Abschnitte aus «Mein Kampf» vor. In mir regte sich nichts.
Als Pa vor einigen Jahren eine Komödie sah, in der Hitler verarscht wurde, war er dem Weinen nahe. Ohne dass er irgendwelche Dinge wusste oder ahnte. Er spürte intuitiv, dass dieser Mann in Ordnung war. Der ganze Weg zur rechtsextremen Weltanschauung war für Pa, wie er es nennt, begleitet von einem einzigen Aufatmen, nach Hause kommen. Es war ein Strom des Lebens.
Pa formuliert seine Träume öfter im Vergleich mit Hitler. Sein grosser Traum ist immer, dass wir hier im PZ ein Gesetz beschliessen können, und über Nacht hält sich ein ganzes Land daran. Die Frage ist nur, wer mit "wir" gemeint ist.
Ohne Zweifel hegt Pa Sympathien für totalitäre Systeme. In mir schlummert eine Angst davor. Natürlich beteuert Pa, dass Menschenherrschaft keine Zukunft habe. Gott muss herrschen. Theokratie ist die Herrschaftsform der Zukunft. Doch solange nicht Gott in neuer Gestalt seine Herrschaft antritt und Pa weiter direkt nach Gott kommt, wird die Praxis dennoch Menschenherrschaft sein. Es sei denn, Pa ist Gott, dann sind die Probleme natürlich gelöst. Das sind die Zerreissproben, in denen ich stehe.
Mit jedem Tag, den ich weiter in diese Sache investiere, verhelfe ich einer Bewegung zum Durchbruch, die mir zuweilen Angst macht.
Wenn ich GANZ auf mein Herz höre, dann habe ich keine Bedenken. Denn ich bin in dieser Sache gross geworden und fühle mich wohl darin. Ich bin überzeugt davon, dass wir die Welt verändern werden mit der Art und Weise unseres intuitionsgesteuerten Lebens. Ich sehe nur gute Früchte an diesem Baum. Doch wenn ich den Kopf einschalte, geht der Alarm an. Ich bin wahrhaftig persönlichkeitsgespalten. Es gibt zwei Seiten in mir, die gegeneinander kämpfen.
Also, ich stehe jetzt wieder auf und gehe weiter. Wäre das alles völlig gefahrlos, was wir tun, wäre es nicht mehr spannend (…).
Nachtrag: Die Konfrontationen steigerten sich nach diesem Eintrag weiter sukzessive bis zur Eskalation am 17. Juli 2011 in Belgien (siehe mein Video darüber). Danach wurde ich noch einmal für 5 Jahre zum Musterschüler.
Quelle 02
Nun springe ich zeitlich um 6 Jahre nach vorne mit 3 exemplarischen Einträgen, die meine Zerrissenheit und die Gewissenskonflikte im Jahr 2016, dem Jahr meines Ausstiegs, andeuten. Sie geben Hinweise auf den Kontext, in den mein Whistleblower-Countdown gehört. Für die stellenweise nicht zensierte Vulgärsprache bitte ich um Nachsicht, sie ist ein Indikator für meine damalige Zermürbtheit.
05. Januar 2016, Dienstag
Möchte ich diese Welt so bedingungslos dem Feuer preisgeben, wie das mein Vater bei der JAKO propagierte? Möchte ich wirklich, dass Jahrhunderte der Aufklärung und des wissenschaftlichen Fortschritts in einer Nacht niederbrennen? Ersehne ich von ganzem Herzen ein Geistes-Kalifat nach dem Gusto des Ivo Sasek?
Ich bin geteilt. So sehr ich die verlogene Kriegstreiberei, das Outsourcing der Sklaverei in die 3. Welt und die Zerstörung unseres Planeten hasse: Der Westen hat uns Freiheit und Luxus gebracht, wie zu keiner Zeit davor. Ich liebe unseren Überfluss. (...)
Wenn wir die Wissenschaft köpfen, einem mittelalterlichen Weltbild zur Renaissance verhelfen und sich letztendlich jedes Knie vor Jesus Christus beugen soll, dann gute Nacht für die freie Welt. Das gleiche will ja auch der IS, nur einfach mit seiner Religion. Will ich im Islamischen Gottesstaat leben? Gott bewahre!
Ist es mir Wert, nach Harmagedon zu ziehen, nur um zu verhindern, dass Männer ihre Penisse in die Ärsche anderer Männer stecken? Ist es mir Wert, den Weltuntergang zu provozieren, nur damit sich niemand mehr öffentlich nackt zeigt und anschauen lässt? Ist mir der Kult um die Vergangenheit derartig wichtig, dass ich ihm die Zukunft opfern will?
Herr, öffne mir die Augen für die Bosheit der Welt neu, damit ich das aufgetragene Feuer irgendwie rechtfertigen kann. Wenn es hingegen nur ein Krieg gegen "Perversion" - wie auch immer man das definieren mag - bleibt, dann zeige mir irgend einen Fluchtweg aus dieser verdammten Brandstifter-Clique.
Und genau in diesen Fragen liegt mein Glaubwürdigkeitsproblem begraben. Ich bin kein überzeugter Brandstifter.
Doch ich meine ernst, was ich sage: Herr, führe mir die Bosheit der Welt so real vor Augen, dass ich dieses Feuer aus Überzeugung anzünden kann. Und dass ich es an der richtigen Stelle ansetze. Ich möchte nicht ein Auftragstäter sondern ein Überzeugungstäter sein.
06. Januar 2016, Mittwoch
Spielt es eine Rolle, was ich möchte? Wenn ich es nicht als Überzeugungstäter tun kann, dann erledige ich meinen Job halt als Auftragstäter. Ist eigentlich egal, denn ich habe meine Seele verkauft und ich werde, so wahr der Herr lebt, mich niemals mehr gegen meinen Vater wenden. Um den Preis meines Lebens werde ich es tun.
Es war richtig, was ich tat, nachdem Pa von der Bühne runterkam (Anmerkung: An der OCG-Jahreskonferenz (JAKO) über Weihnachten 2015), als er seine Predigt "Gottes Feuer" abgeschlossen hatte. Er kam direkt auf mich zu und fragte mich: "Ist alles in Ordnung? Du wirktest so nachdenklich?". In mir war die Hölle los, doch ich antwortete überrascht: "Was? Ich? Nein, es ist alles bestens! Alles in Ordnung, alles gut!". Erleichtert ging er in die Vorbereitung der Heilungsbotschaft und ich zog die Farce für den Rest des Tages durch, wie ich am 26. 12. schrieb.
Ich bin nicht bereit, meinen inneren Dämonen auch nur durch ein einziges gesprochenes Wort das Zeichen zur Wiederkehr zu geben. Wehe mir, ich spreche ein einziges Wort meiner Zweifel jemals wieder vor meinem Vater aus: Das seit 4 Jahren in Ketten gelegte Ungeheuer in mir wird in einer Grausamkeit auferstehen, der niemand mehr gewachsen sein wird. Auch ich selbst nicht. Mein Vater wird den Mut verlieren, wenn ich ihn verlasse. Denn er liebt mich, das weiss ich jetzt besser als je zuvor. Er achtet mich, schätzt mich, ehrt mich. Es ist nicht wahr, dass er mir nicht traut. Nein, er vertraut mir so viel mehr, als ich es verdient hätte. Das ist die ganze Wahrheit.
Und ich sage es wieder: In alle Ewigkeit wird feststehen, dass für den Ausgang unserer Geschichte ich keine Lorbeeren verdienen werde. Mein Vater war spurtreu, ich war es nicht. Mein Vater war gehorsam, ich war es nicht. Mein Vater war furchtlos, ich war es nicht.
Nach 2011 schaltete ich meinen Verstand ab und ging ihm hinterher, weil ich GLAUBE, dass er ein Prophet ist. Ich schrieb meine gelegentlichen Zweifel ehrlich auf, um in Erinnerung zu behalten, dass ich kein Prophet war, dass ich ungläubig und weltlich war. Dennoch folgte ich meinem Schicksal und war Teil seines Auftrags.
02. März 2016, Mittwoch
Beim vergangenen GT nutzte Pa den Aufruf eines gewissen Hal Turner, um die Drohkulisse eines 3. Weltkriegs zu untermauern. Natürlich tat er das nicht aus berechnendem Kalkül, sondern die Aussagen dieses angeblich mit Geheimdienstkreisen bestens vernetzten Mannes hatten ihn schon in der Vorwoche arg umgetrieben und schlaflos gehalten. Einerseits relativierte er Turners Aussagen in einer Sendung auf kla.tv, um sich nicht zu weit auf die Äste hinauszubegeben, denn Turner hatte den Ausbruch des 3. Weltkriegs vor 3 Wochen auf gestern angekündigt. Pa wird es seit je unwohl, wenn Propheten mit exakten Terminangaben arbeiten, weil da viel Blamagepotenzial schlummert.
Nun, ausser eines einigermassen stabilen Waffenstillstands hat sich in der Harmagedon-Region in den vergangenen Tagen nichts getan. Glücklicherweise merkte Pa gegen Ende seiner Predigt noch kurz an, dass es mit den Terminen auch anders kommen könnte, das Prinzip jedoch auf jeden Fall gelte. Doch der Übertitel war eindrücklich: «Morgen könnte der 3. Weltkrieg ausbrechen!».
Ich selbst beobachte die Gemengelage in Syrien ebenfalls seit Wochen mit Sorge. Bei derartig vielen Köchen, die in diesem Brei rumpfuschen, kann nur ein verdorbenes Ergebnis rauskommen. Immerhin warnten ja sogar die Russen vor dem Weltkriegspotenzial der Konstellation und drohten mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen, sollten die Saudis und Co. Bodentruppen ins Land schicken. Ein dramatischer Hexenkessel also. Aber gleich Harmagedon?
Zurück zu Hal Turner. Das Beispiel seines Aufrufs veranschaulicht gut, wie ich in den vergangenen Jahren tickte. Ich hatte diesen Aufruf nämlich zeitgleich mit Pa von einem Bekannten zugemailt bekommen. Die Argumentation klang plausibel, wenngleich sie auch keine Informationen enthielt, die irgendwelcher Geheimdienstkontakte bedurften. Es handelte sich um eine einigermassen panisch klingende Prognose aufgrund allgemein zugänglicher Informationen. Also googelte ich Hal Turner kurz und nach 2-3 Minuten war klar, dass dies Untergangsprognose XY des Hal Turner sei und er sein Geltungsbedürfnis anscheinend durch das Verkünden des immer wieder nahen Weltenbrandes befriedige. Also war das Thema für mich gegessen.
Als ich dann erfuhr, dass Pa die Information aufgreift, schwieg ich einfach und hörte staunend zu. Aus endloser Erfahrung wusste ich, dass nur schon mein «Bescheid wissen» Konfliktpotenzial gehabt hätte. Nach dem Motto: «Womit beschäftigst du dich denn alles?». Geschweige denn, wenn ich Position bezogen hätte, ich der unerfahrene Sohn, aufgrund – Achtung, jetzt kommt’s – einer «Google-Recherche»! Denn ich weiss ja, was bei einer Google-Recherche über uns rauskommt. Pa will davon nichts wissen.
Und dies alles in der Woche vor einer Grossveranstaltung, wo jeweils der kleinste Funke den Gas-Tank sprengen kann. Das wollte ich uns nicht antun. Also reagierte ich pragmatisch, sagte kein Sterbenswörtchen, hörte Pa kopfnickend zu und nahm damit in Kauf, dass er sich am Samstag enorm weit aus dem Fenster lehnte. Die Passagen wurden hinterher zensiert.
Ich war damit weder wahrhaftig noch aufrichtig noch mutig und trotzdem habe ich Null schlechtes Gewissen. Denn was wäre, wenn der 3. Weltkrieg gestern tatsächlich ausgebrochen wäre? Könnte ich die Verantwortung tragen, dem Propheten im entscheidenden Moment die Vollgewissheit geraubt zu haben? Nein.
Und trotzdem muss ich Wege finden, genau diese feige und mittelmässige Haltung zu überwinden, ohne dabei die früheren Spannungen auch nur ein einziges Mal wieder aufleben zu lassen. Das ist die Arbeit, der ich mich stellen muss, denn oberflächliches und selbstsicheres Besserwissen tun absolut nichts zur Sache. Ich muss mich zur kompetenten und demütigen Respektperson entwickeln, die gefragt wird und die nicht nötig hat, sich aufzudrängen und einzumischen. Hilf mir dabei, Herr! Amen.
Anmerkung zur Qualität der Quellen: siehe *Hinweis.
Quelle 03
In der Folge versuchte ich, meine seit 2011 verinnerlichte «Jubelperser-Rolle» (siehe dazu auch mein Video) etwas zurückzufahren und in der Kommunikation mit Pa wieder ehrlicher zu sein. Seine Reaktion kam postwendend:
18. März 2016, Freitag
Gestern Nachmittag übermittelten mir Daniela und Ruth einige zurechtstutzende Signale meines Vaters, die sich aufgrund meines letzten Rückmeldeblattes an ihn ergeben hatten (…)
So liess er (Pa) mir ausrichten, dass er empfinde, ich lege in letzter Zeit wieder öfters eine gewisse Festigkeit an den Tag, die über lange Strecken aus unserer Beziehung verschwunden sei, was Daniela und Ruth bestätigten, aber eher in entschuldigendem Tonfall. Sie überbrachten mir auch seinen Wunsch, meine Rückmeldungen (Anmerkung: betreffend TC-Projekte) wieder über Daniela zu erhalten, mit Samthandschuhen und langen Erklärungen und Einführungen.
Natürlich ging ich, ohne den geringsten Widerstand zu leisten, auf alles Gesagte ein und schrieb auch sofort einen äusserst einsichtigen Brief an Pa. Doch es hat einen Grund, warum Pa mir seine Kritik nicht 1 : 1 überbringt und warum sie sein Team erst nach langen Erklärungen und Einführungen anbringt: Sie kennen mich von früher und fürchten die Konfrontation, wenn ich mal tatsächlich auf Widerstand gehe.
Und tatsächlich ist es so: Wüsste irgendjemand, wie es in letzter Zeit wirklich in mir aussieht, stünde unser Lebenshaus auf der Stelle lichterloh in Flammen. Ich bin anscheinend doch nicht ein so guter Schauspieler, dass ich das komplett hätte verbergen können. Es hat an gewissen Stellen durchgedrückt, eben in Form von leisem Widerstand.
Ich spiele dieses Doppelspiel aus einem einzigen Grund. Es darf in diesem Leben nicht noch ein einziges Mal eine Eskalation im Stile von Belgien 2011 geben, sonst bin ich weg. Definitiv und für immer unumkehrbar. Würde ich auch nur ein einziges Wort meiner tatsächlichen Gedanken und Zweifel aussprechen, käme es dazu. So sicher, wie der Stein von oben nach unten fällt. Und genau das will ich uns allen nicht antun, zuletzt meiner Frau und meinem Kind! Darum muss ich andere Wege finden, mit meinen Abgründen klarzukommen. Ich habe Null schlechtes Gewissen, auch das verrückteste Fassadenspiel abzuziehen, denn es erspart uns die lodernde Hölle.
Trotzdem ist das so auf Dauer kein Leben, denn wenn ich zurückgehe in meine Schizophrenie von früher, dann geht es zuallererst mir selbst am dreckigsten dabei. Ich kann nicht mit aufgespaltener Persönlichkeit leben, das ist kein Zustand. Der Preis, der selbstbestimmten Persönlichkeit in mir das Feld ganz zu überlassen, ist aber dermassen hoch, dass ich schlicht und einfach nicht bereit bin, ihn zu bezahlen. Ich müsste notfallmässig untertauchen, würde meine Ehe riskieren und hätte lebenslangen Krieg mit allem, was ich bisher liebe. Das ist es mir einfach nicht wert.
Vielleicht wird das in 10 Jahren anders aussehen. Falls mein Vater dann immer noch den nahen Weltuntergang propagiert und seine Diktatur dann noch totalitärer geworden ist, kann ich es mir nochmals überlegen. Aber zum heutigen Zeitpunkt ist es die Kosten einfach nicht wert. Darum will ich, nein, darum muss ich das Feld wieder ganz der untergeordneten und eingefügten Persönlichkeit in mir überlassen. Dieser Schwebezustand zwischen beiden Extremen macht mich fix und fertig. Er ruiniert meine ganze Lebensfreude, mein ganzes Glück. (…)
Quelle 04
Nun fokussiere ich auf die letzten Tage, bevor der Countdown startete.
21. Juni 2016, Dienstag
Angst ist eine nützliche Sache. Sofern sie nicht lähmt, kann sie einer der kraftvollsten Antriebe im Leben eines Menschen sein. Ich weiss das aus eigener Erfahrung, denn Angst war es, was mich in den ersten Dekaden meines Lebens vorwärtsbrachte.
Es ist eine simple Schlussfolgerung, denn je mehr Angst ich verliere, desto antriebsloser werde ich.
Da war früher die Angst vor der verpassten Entrückung, die Angst vor dem Absturz in der Pubertät. Die Angst vor der Strafe, die Angst, meinen Vater zu enttäuschen. Die Angst überhaupt zu enttäuschen. Die Angst vor der Todsünde «vorehelicher Sex» und ganz zuletzt die Angst vor dem 3. Weltkrieg und Flumbis Verchippung.
Ängste hielten mich auf Kurs, spornten mich an, stifteten Sinn. Jetzt, wo sie weg sind, wie weiter? (…)
Quelle 05
Der kommende Tagebucheintrag hält fest, warum ich mich einige Tage später entschied, das Wagnis einzugehen und einen internen Warnhinweis abzusetzen. Gleichzeitig führte er mir unmittelbar vor Augen, dass ich damit auch meine Ehe riskieren werde.
27. Juni 2016, Montag
War es wirklich nur Angst, was mich antrieb? Nein, man kann das so undifferenziert nicht sagen. Die Realität ist immer komplexer als eine im Ringen um Orientierung gemachte Pauschalisierung.
Was mich antrieb, war seit je ein Cocktail aus verschiedensten Kraftstoffen. Die Angst war auf jeden Fall eine Zutat der Mixtur, doch da gab es auch Träume, Ideale, Visionen, Wünsche. Beziehungen und vieles mehr. Ob angeborene oder anerzogene soll mal dahingestellt bleiben. Ich bin jetzt, was ich bin, und habe vor allem ein grosses Problem: Dass mich eben dieser Cocktail in seiner Gesamtheit nicht mehr antreibt. Oder nicht mehr genügend antreibt, um es nicht ganz so schwarz-weiss zu formulieren. Vielleicht ist es letztendlich trotzdem vor allem der Angstanteil, der in meinem Treibstoff fehlt und dafür verantwortlich ist, dass ich stocke.
Woher beziehe ich den fehlenden Angstanteil in meiner Treibstoff-Rezeptur, wenn mir, was mein Vater prophezeit, nicht mehr glaubwürdig scheint? (…)
An der vergangenen Premiere redete er wieder davon, dass das Weltenhaus lichterloh brenne. Buh!!! Doch ich erschrecke nicht mehr. Denn er klammert dabei aus, dass es der Weltbevölkerung objektiv betrachtet nie besser ging als heute. Richtig grausam ging es auf dem Planeten Erde zu, als die Religion an der Macht war und der Glaube über Fakten triumphierte. Als das Bauchgefühl wichtiger war als reproduzierbare Ergebnisse. Als die Wissenschaft als Teufelswerk galt und wissenschaftliche Errungenschaften als Magie. Im Zweifelsfall würde ich mich in meiner aktuellen Verfassung ganz einfach querstellen, wenn ich die Wissenschaft opfern müsste. Ganz egal wie mein Vater mir die Hölle heiss machen würde. Denn ich habe keine Angst mehr.
Auf die Diskreditierung der Wissenschaft arbeitete er denn auch wieder hin, als er bei der Premiere die wilde Verschwörungstheorie aufgriff, wonach alles, was die NASA vorgebe zu tun, ein einziger Schwindel sei. Von Mondlandung bis zum Challenger-Unglück sei alles ein einziger Fake, zitierte er irgendwelch ungeprüfte Quellen vor 2000 Leuten. Kein Wunder berichtete er hinterher über gewisse Seitenwinde während seines Referats.
Solche Thesen befremden wohl selbst seine treuesten Jünger, denn wir treten in das Zeitalter der privaten Raumfahrt ein. Elon Musk will regelmässige Marstransporte schon demnächst aufstarten und die Marsbesiedlung wird in den nächsten Jahrzehnten als neuer Meilenstein der Menschheitsgeschichte unweigerlich in die Annalen eingehen. Gebremst wird dieser Fortschritt nur, wenn ein mittelalterliches Kalifat ihn aufhält.
Kein ernstzunehmender Mensch zieht heute noch ernsthaft in Erwägung, ob es sich bei der Erde um eine Scheibe handeln könnte. Pa tut es. So wie er vor einigen Jahren empört reagierte, als ich mich über seine «Hohle Erde»-Faszination lustig machte.
Pa wünscht sich einen Paradigmenwechsel von galaktischer Dimension, um darauf sein Imperium gründen zu können. Die Hohle Erde, oder die Erdenscheibe, wäre ein guter Anknüpfungspunkt dafür. Doch nein Danke, wir wollen nicht zurück ins Mittelalter. Und zum guten Glück spreche ich damit nicht nur für mich selbst.
Die eben verfassten Zeilen offenbaren, was geschieht, wenn Simon Sasek die Angst verliert. Gleichzeitig taugen sie als Quelle neuer Angst. Denn würden sie publik werden, würde lichterloh brennen, was ich innig liebe. Ich liebe Papi und Mami. Ich liebe meine Geschwister. Ich liebe meine Frau und mein Kind. Ich habe grosse Angst. Angst davor, sie alle zu verlieren aufgrund meines Stolzes.
Möge diese Angst mich nun vorwärtstreiben und dazu beitragen lassen, dass unsere Bewegung ihre lichte Bestimmung nicht verfehlt. Wir sind die Wiederkunft und werden ein Äon des wirklichen Friedens hinterlassen. Und nichts Geringeres! Amen.
Handschrift von Mia:
«Wenn ich das hier lese … bekomme ich auch Angst! Und die Angst, dass du dadurch alles verlierst, was du liebst und was dich liebt, ist real.»
Quelle 06
Dieser Tagebucheintrag hält den ersten Kipppunkt dieser Geschichte fest: Mein kurzes Memo an Pa vom 30. Juni 2016, in welchem ich leise Zweifel an den Quellen über die NASA-Geschichte anmeldete. Ich tat es, um nicht denselben Fehler zu begehen wie bei der Hal Turner-Sache (siehe oben Quelle 02, Ziff. 18 & 20).
01. Juli 2016, Freitag
Habe mich gestern kurzerhand dazu entschieden, Pa noch ein Feedback auf seinen NASA-Exkurs vom letzten Samstag zu geben. Es wäre einfach zu feige und zu unaufrichtig gewesen, wenn ich es nicht getan hätte. Spätestens da hätte ich die definitive Grenze zur Heuchelei überschritten.
Ich schrieb ihm völlig unaufgeregt, dass ich empfinde, wir hätten uns damit zu weit aus dem Fenster gelehnt und hängte einen Video-Rundgang durch die ISS als Youtube-Link an. Ich hoffe mal, dass ihn diese Bilder überzeugen und auch der Fakt, dass die NASA dort mit der russischen, europäischen, japanischen etc. Raumfahrt kooperiert. Die ganze Video-Flut aus der ISS müsste dann also schon ein globaler Fake sein. Ich denke, dass insbesondere die russische Beteiligung ihn stutzig machen wird.
Gleichzeitig gibt mir zu denken, dass es so weit kommen musste. Hätte ich schon bei Hal Turner interveniert, hätte er mich in diesem Fall vielleicht zu Rate gezogen. Die NASA-Nummer war nochmal deutlich peinlicher als die Hal Turner-Sache.
Wir sind doch ein Organismus und brauchen einander. Wenn ich Pa vorenthalte, was Gott in mir signalisiert, lasse ich ihn und damit uns alle aus Feigheit ins Messer laufen. Es tut mir leid. Ich denke, in 10 Jahren werde ich schmunzeln darüber, welche Holpereien wir im organischen Zusammenwirken heute noch haben. Wir werden das mit der wahren Synergie noch lernen.
Nachtrag: Leider bin ich nicht mehr im Besitz des kurzen Memos, das ich Pa am 30. Juni 2016 zustellte, weil ich es nicht auf meinem eigenen PC verfasst hatte.
Quelle 07
06. Juli 2016, Mittwoch
In den kommenden Tagen und Wochen wird sich nun zeigen, ob ich meiner Wahrnehmung vertrauen darf, oder ob ich künftig einfach blind vertrauend und schweigend mitlaufen sollte, wenn Pa einen Kurs einschlägt. Gleichzeitig auch, ob ich schon genug Mann bin, meinen Standpunkt zu vertreten, ohne mich durch selektive Wahrnehmung selbst in die Rolle des überheblichen Zweiflers zu treiben:
Meine Rückmeldung an Pa zum NASA-Thema hat ein Nachspiel. Obwohl ich sie ihm schon letzten Donnerstag ins Fach legte, liess er mir gestern ausrichten, er habe meine Zeilen erst gerade gelesen, weil er die Meldung unter einem Stapel von Dokumenten begraben habe. Eine Stunde vor seiner Abreise in die Übersetzung übergab er Bettina sein Skript für einen kompletten NASA Dokfilm mit dem Vermerk, ich sollte darüber schauen und sie sollten in seiner Abwesenheit nichts veröffentlichen, solange ich nicht einverstanden sei.
Nun hatte ich die gemütliche Aufgabe, darüber zu entscheiden, ob ich die tagelange Arbeit meines Vaters ruinieren möchte, oder einfach abnicken soll, wohinter ich in Wirklichkeit nicht stehen kann. Mehr noch, wie ich gestern erfuhr, möchte Pa diesen NASA-Film zum Sommermotto unserer gesamten Bewegung machen und darauf völlig neue Initiativen der Graswurzelforschung begründen. Es kann also sein, dass ich gerade dabei bin, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen für eine legendäre Neugründung, die wir uns in 20 Jahren nicht mehr wegdenken können. Aber mit diesem Risiko muss man bei uns leben, wenn man ans Steuerrad fasst. Und ich sollte von Anfang an zusehen, dass meine inhaltlichen Zweifel seine Graswurzelforschungsidee nicht rivalisieren, sondern vielmehr fördern.
Oberflächlich betrachtet ist der Fall sonnenklar. Mein Vater ist bei seinen ersten Internet-Recherchen (er hat noch nicht so lange Internet) auf dubiosen Verschwörungsseiten gelandet und hat sie für voll genommen. Zumindest im deutschsprachigen Raum wurde die Meldung vom «Challenger Hoax» nur von weltfremdesten Plattformen vor über einem Jahr publiziert. Nicht einmal Kopp-Online liess sich darauf ein und dort ist das Mondlandungsthema ein Dauerbrenner.
Wenn man die Quellen zurückverfolgt, landet man bei einem Autor auf einem US-Forum, der gleichzeitig behauptet, die komplette Raumfahrt aller Länder der Welt zusammen sei der grösste Schwindel aller Zeiten, die ISS ein Hoax, es habe nie Atombomben gegeben und die NASA sei einzig ein Aussenposten Hollywoods. Wenn man die Recherchemethoden dieses Simon Shack untersucht, realisiert man schnell, dass es für ihn genügt, eine Person in einer Internetdatenbank nicht zu finden, um ihre Existenz zu leugnen usw.
Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, die Quellen, auf denen das Sommermotto meines Vaters gründet, wären solide. Und ich bin dankbar für diese Steilvorlage, denn wenn ich hier tatsächlich irre, dann werde ich definitiv etwas lernen. (...)
Quelle 08
09. Juli 2016, Samstag
Die Beweise haben sich verdichtet: Die «Challenger-Fake»-Geschichte ist selbst ein kompletter Hoax. Sie mahnt uns einmal mehr, keinem Bild zu trauen und sorgfältig genug zu recherchieren. Ich bin froh, habe ich mich gewagt, Stellung zu beziehen.
Allerdings wollte Pa, dass die Produktion diese Woche dennoch losrollt und dann in der kommenden Woche definitiv entscheiden. Ich habe ihm alle offensichtlichen Ungereimtheiten schriftlich zusammengefasst und er wird es nächste Woche lesen. Er ist ja momentan noch in der Übersetzungsarbeit.
Ich bin ruhig. Ich glaube nicht, dass es in dieser Challenger-Sache jetzt noch Spannungen geben muss. Glücklicherweise hat mir der Herr geholfen, Unruhe zu attestieren, ohne verklagend oder überheblich zu wirken.
Anmerkung: Ich veröffentliche an dieser Stelle (siehe unten) nun auch die soeben erwähnte schriftliche Rückmeldung an Pa (Quellenprüfung NASA-Film) vom 05. Juli 2016 über das Drehbuch zum Film "Werden wir an der NASA herumgeführt?". Ich hatte dieses Dokument verfasst, nachdem Pa nach Gailingen abgereist war und Bettina mir sein Drehbuch zur Prüfung übergeben hatte (vgl. Quelle 07, Ziff. 2-3). Ich handelte damit in meiner Funktion als Mitglied der Chefredaktion von kla.tv, in Ausübung der mir übertragenen Aufgabe und ging davon aus, mein Vater würde es am darauffolgenden Dienstag, dem 12. Juli 2016, lesen.
Es sollte nie dazu kommen. Sein Urteil war, wie sich gleich herausstellen wird, bereits gefällt (siehe auch Quelle 13, Ziff. 2-3).
Quelle 09
11. Juli 2016, Montag (Light-Version)
Auf der Fahrt nach Gailingen zu Pa’s 60-Jahr-Geburtstagsfeier hat Lois mich gestern nun voll in die Zange genommen. Im Auftrag von Mami und Bettina, wie sie sagte. Pa habe eine schwere Woche gehabt wegen meines Signals und Lois wollte mich davon überführen, dass ich meine Kompetenzen damit überschritten habe. (...)
Einzig um den Tag nicht zur Katastrophe werden zu lassen, deeskalierte ich die Situation noch rechtzeitig, bevor wir in Gailingen ankamen.
Als Lois realisierte, dass ich nicht sofort klein beigebe – ich sprach mich dafür aus, das Thema doch bis Dienstag ruhen zu lassen und den Tag nicht davon abhängig zu machen, solange es Pa nicht tut – schritt sie zu stärkeren Geschützen über.
Wer mich geheissen habe, mich mit dem NASA-Thema zu befassen etc. Glücklicherweise konnte ich belegen, dass ich erst auf Pa’s Auftrag hin, das Drehbuch zu QSen, die Quellenprüfung begonnen hatte. Worüber ich dann aber kapitulieren konnte und womit ich den Tag rettete, war die Tatsache, dass ich den Filmclip vom ISS-Rundgang vor einem Jahr angesehen hatte, ohne eine Anweisung dafür zu haben.
«Der Teufel fällt überall ein, wo wir nicht in unserem Teil sind», schäumte sie. Das Internet sei Teufelszone und wer es ohne Auftrag betrete, begebe unsere ganze Mission in Gefahr. (…)
Leider bin ich jetzt trotzdem in einer Situation gelandet, die schmerzhafte Konsequenzen für mich und uns alle nach sich ziehen wird.
Nachtrag: Diesen Tagebucheintrag verfasste ich einen Tag nach meiner Entscheidung, nach dem 28. August 2016 aus der OCG auszusteigen (vgl. Quelle 13, Ziff. 1-3), jedoch als Light-Version. Die Entscheidung, ein zweites, geheimes Tagebuch auf dem Computer zu führen, fiel erst später (siehe unten Quelle 15, Ziff. 3).
Quelle 10
Auch hierbei handelt es sich um einen Eintrag in mein handschriftliches Tagebuch und damit um eine Light-Version. Ich nenne darin erstmals den Stichtag, den 28. August 2016, und die verbleibenden 40 Tage meines Countdowns. Allerdings schweige ich über die Konsequenz dieses Countdowns: Den Ausstieg. Hierüber schreibe ich nur in meinem geheimen Tagebuch offen (vgl. Quelle 13, Ziff. 1-2, Quelle 15, Ziff. 3).
22. Juli 2016, Freitag
Ich empfinde mich in einer grossen Prüfungszeit, fühle ein Damoklesschwert über mir. Auf der Fahrt nach Gailingen zu Pa's Geburtstagsfeier überführte mich Lois mit wuchtigen Hieben davon, dass ich durch unsachgemässen Umgang mit dem Internet dem Teufel Raum gebe und damit Pa als Diener Gottes, als Propheten und Apostel gefährde. (Neugierde etc.)
Meine Kapitulation in dieser Sache war dann definitiv gespielt. Um des lieben Friedens willen, und ich verbrachte den Tag dann innerlich in der Hölle. Doch ich möchte diese Unwahrhaftigkeit nicht fortsetzen.
Obwohl ich meinen Internetgebrauch seit meinem NASA-Signal an Pa ohnehin sehr reduziert habe, entschied ich mich am vergangenen Mittwoch, eine 40-tägige Studienfrist einzulegen. Ich verpflichtete mich vor Gott, für 40 Tage das Internet nur und ausschliesslich noch für die allernötigsten beruflichen Belange zu nützen (dringendste Einkäufe und Recherchen, die anders nicht machbar wären).
Wenn ich nach dem Stichtag, dem 28. August (Sonntag nach GT) noch immer denke, wie im Auto auf der Fahrt zu Pa's Geburtstag, werde ich das ans Licht bringen müssen. Wenn ich es nicht tue, entwickle ich mich zum Heuchler und hinterhältigen Opportunisten.
Herr, halte deine Hand über mir in dieser Prüfung. Du hast mich seit je aus jeder Gefahr errettet. Amen
Quelle 11
Erneut handelt es sich hier um Einträge in mein gewöhnliches Tagebuch und damit um die Light-Version. In Wahrheit ging ich zum - im 2. Eintrag erwähnten - Gespräch mit Pa bereits mit der inneren Hoffnung, das Gespräch könnte meinen Ausstiegscountdown stoppen (vgl. Quelle 13, Ziff. 5).
24. Juli 2016, Sonntag (Light-Version)
Und jetzt kommt die Angst wieder hoch in mir. Wir haben heute um 11 Uhr eine Familienversammlung und Mami klang bedeckt am Telefon, als sie es mir mitteilte. Werde ich willig und gehorsam mitfliessen können? Oder werde ich mir anmerken lassen, dass ich mich in Kontraktionen befinde?
Herr, halte deine Hand über uns. Amen.
27. Juli 2016, Mittwoch (Light-Version)
Bei der Familienversammlung am vergangenen Sonntag drifteten wir haarscharf an einer Aufarbeitung vorbei, die mit Sicherheit zu einer Konfrontation geführt hätte.
Gestern Morgen nun rief mich Pa zu sich ins Büro und wir redeten zum allerersten Mal direkt miteinander über die ganze Sache mit meinem NASA-Signal. Fast ein Monat nach meiner Meldung. Was in dieser Zeit alles gegärt hat auf beiden Seiten, konnten wir dann mal offen aussprechen und auch einige Missverständnisse klären.
Ich erzählte ihm bei dieser Gelegenheit auch einmal die ganze Geschichte unseres Beinahe-Crashs vor dem letzten Frühlingsurlaub und dass ich mir manchmal wünschen würde, bei speziellen Anliegen nicht über 7 Ecken mit ihm kommunizieren zu müssen.
Er hörte mir zu und ich hörte ihm auch zu. Er erklärte mir, dass mein Signal ihn beinahe dazu bewogen habe, kla.tv einzustampfen. Dass er letztendlich aber entschieden habe, dieser Frequenz des Friedens zu folgen, die ihn alle vergangenen Jahrzehnte richtig navigiert habe. Deshalb habe er auch im Verbund mit diesen Leuten, mit denen er seit je seine Entscheidungen fällt (Team) Frieden gehabt, den Film zu bringen. Er habe da noch nicht ahnen können, dass er so viral verbreitet würde usw.
Als Fazit legte er mir ans Herz, in meinem Teil zu bleiben, nichts ohne Auftrag zu tun und meinen Wesenspunkt der Neugierde nicht aus den Augen zu verlieren. Wir beteten gemeinsam, verteilten jede Spaltung um und gingen im Frieden auseinander.
Doch die Bedrückung, die Angst, die Beklemmung, die mich seit einem Monat umklammert, ist noch immer da. Und Pa hat genug feine Sensoren, dass er ebenfalls spüren wird, wie es um mich steht.
Ich muss das irgendwie entschärfen. Ich brauche Zeit.
Quelle 12
30. Juli 2016, Samstag (Light-Version)
Ich habe es entschärft. Indem ich Pa am Morgen darauf nochmal eine Rückmeldung ins Fach legte, in der ich seine Hinweise noch einmal dankbar wiederholte. Er liess mir daraufhin über Bettina ausrichten, JETZT sei alles in Ordnung für ihn.
Doch die ganze Geschichte hat definitiv offenbart, dass der gemeinsame Friede auf unserem Weg nur dann zählt, wenn ein Vorgesetzter nicht mitkommt. Wenn ich als Pa’s ältester Sohn, als eine der Hauptsäulen seines Werkes, seit 12 Jahren Tag und Nacht für ihn im Dienst, nach gepeinigten Nächten es wage, eine Kritik anzumelden, holt er sich für seinen gemeinsamen Frieden einfach diese Leute, die mit Sicherheit zustimmen werden. Mit mir spricht er erst, wenn es nicht anders geht. 1 Monat später. Alles, was meine Meldung bewirkt hat, war ein Horror-Monat für mich und 2-3 in den Konjunktiv umformulierte Drehbuchstellen im NASA-Film.
Das wahre Motiv meines NASA-Signals war von Beginn an nicht ein inhaltliches. Ich wollte prüfen, wie Pa damit umgehen wird, denn zunehmend machte ich mir Sorgen, dass er sich immer mehr abschottet (…)
Pa ist zufrieden mit meinen Leistungen, doch ich habe in Wirklichkeit keinen ernsthaften Einfluss in unserer Sache. Niemand hat den, ausser er selbst. Das ist die nüchterne Wahrheit. (…)
Quelle 13
Ab Anfang August 2016 begann ich, ein zweites, geheimes Tagebuch auf meinem Computer zu führen (siehe auch Quelle 14, Ziff. 1 und Quelle 15, Ziff. 3). In folgendem Eintrag in dieses geheime Tagebuch halte ich erstmals offen fest, was seit dem 10. Juli 2016, Pa’s 60. Geburtstag, tatsächlich in mir vorging.
04. August 2016, Donnerstag (Klartext)
Ich habe so etwas in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Seit bald einem Monat ist in mir ein innerlicher Schalter gekippt, den ich schlicht und einfach nicht mehr auf die andere Seite umlegen kann. Die Entscheidung, unsere Sache nach dem 28.8. zu verlassen, ist definitiv gefallen und ich kann bisher keinen Einfluss mehr darauf nehmen. Ganz egal wie ich mich anpredige, ganz egal welche Ermahnungen ich in meine Tagebücher schreibe, oder sie darin lese – ich kann es stundenlang tun – es ändert alles nichts. Es gibt Tage, z.B. an einem TC, da glaube ich jeweils, die Kurve zu kriegen, die Prüfung zu bestehen etc. Doch spätestens, wenn alle Leute wieder aus dem Haus sind, kommt die Gewissheit zurück, dass es hier für mich vorbei ist.
Wenn ich eruieren müsste, wann dieser Schalter innerlich umgelegt wurde, dann müsste ich es leider exakt auf den 60. Geburtstag meines Vaters datieren. Die Konfrontation mit Lois (auf der Hinfahrt zur Feier), im Auftrag von Pa, ihre freche und dreiste Forderung, mich aufs Arbeiten zu beschränken und gefälligst nicht mitzureden, wo ich nichts mitzureden habe (mein NASA-Statement). Ihre schrille Forderung nach Gehorsam und ihr panisches Zukunftsbild gaben mir die traurige Gewissheit, dass ich mein Leben in Zukunft besser investieren werde.
Vor allem als ich daraufhin realisierte, wie Pa und Lois unser Gespräch im Wohnmobil auswerteten und sie ihm vom harten Kampf mit mir erzählte, in dem ich aber habe kapitulieren können (Anmerkung: ich stand mit einigen Gästen auf der Fahrerseite des Wohnmobils und hörte durch ein offenes Fenster völlig zufällig, wie drinnen über mich gesprochen wurde). Wie beruhigt war er daraufhin, wie wunderbar empfand er den Tag. Doch es war ein Höllentag. Zumindest für mich. Es war der Tag, an dem ich realisierte, dass diese friedliche Familie bald Geschichte sein würde.
Es müsste jetzt ein ganz gewaltiges Ereignis von aussen eintreten, damit der Schalter in mir noch einmal umgelegt würde. Dazu zählte alles nicht, was ich selbst verursachen könnte. Würde ich einen Unfall bauen, oder etwas dergleichen, könnte es auch die Folge meiner aktuellen psychischen Angespanntheit sein. Es dürfte auch nichts sein, was ich mir in einer späteren Krise auch als das Produkt meiner eigenen selektiven Wahrnehmung würde erklären können. Entweder das ganze Universum hilft jetzt mit, mich in diesem Frondienst an der Stange zu halten, oder es räumt mich aus dem Weg. Geschieht keines von beidem, dann reite ich in die Freiheit. Unumkehrbar und für immer.
Doch jetzt wartet die härteste Prüfungszeit meines bisherigen Lebens auf mich. Die vergangenen 3 Wochen gelang es mir relativ souverän, im Werk völlig zu verbergen, wie ich in Wahrheit denke. Selbst als Pa mich vorgestern doch noch überraschend in sein Büro beorderte, mich angespannt und schnell atmend konfrontierte (wegen meines NASA-Signals), war ich seelenruhig und sagte keine Silbe über meine Entscheidung.
Lächelnd und salbungsvoll schwärmte ich auch in unseren internen Versammlungen davon, wie wichtig es ist, im Dienst (in Pa) zu bleiben, wie sehr wir dadurch jede Spaltung ausschaffen können. Redete davon, wie der Machtbereich der Finsternis ständig aktiv sei und uns immer wieder drohe in die ICH-Sucht zu verleiten, Jesus uns aber davon errette. Meine Familie würde die Show oberdämonisch nennen, die ich in den letzten Wochen abgezogen habe. Dabei war es purer Selbstschutz. Ich habe über die Jahre nur allzu gut gelernt, zwischen meinen Persönlichkeiten hin und her zu zappen. Und meine Familie spürt ganz genau, ob ich glaube, was ich sage. Wenn ich wieder in mein gehorsames ICH gewechselt habe, dann bin ich sehr glaubwürdig. Ich kann dann beim TC mit den Leuten das «aktuelle Wort» von Pa nachverdauen, alle fanatisieren und die Leute strahlend segnen, sie sammeln und begeistern. Doch wird mir das Zappen auch noch gelingen, wenn mir so sehr klar ist wie jetzt, dass der Schalter definitiv umgekippt ist?
Das Problem ist, dass die bevorstehenden 3 Wochen um ein Vielfaches anspruchsvoller sein werden, als die vergangenen. Ich habe an allen kommenden 3 Samstagen ein TC und am 27.8. findet unser großes OCG-Sommerabschluss-Treffen statt. Ich kann kaum in Worte fassen, wie sehr mich jede Begegnung aufwühlt, wie sehr die tausenden von Geschichten mit diesen tausenden von Menschen mein ganzes Leben geprägt haben. Die Selbstzweifel und die Selbstvorwürfe grassieren darum hinter jedem kleinsten Detail des Alltags. Ich habe keine Ahnung, ob es mir nun gelingen wird, diese zwiespältigsten Wochen meines gesamten bisherigen Lebens erfolgreich zu überstehen. Oder ob ich einknicke, zusammenbreche, aufgebe. Zita fühlt uns mindestens 2-mal wöchentlich auf den Zahn, Daniela genauso oft. Es warten gemeinsame Visionierungs-Telkos mit Zita und Team auf mich, in denen ich unsere TC-Erfahrungen vermitteln werde, um die OCG in der einen Stammlinie des Wortes von Pa zu versammeln. Zita ist begeistert von meinen Geschichten aus der Praxis. Sie findet, alle sollten daran teilhaben.
Werde ich diese Wochen durchhalten? Kleinste Details könnten eine Eskalation bewirken. Wenn ich nur einen einzigen Moment die Fassung verliere, oder es nicht schaffe, völlig überzeugend das Gegenteil dessen zu sagen, was ich fühle, wird es gefährlich. Dann komme ich in den Fokus, werde enger an die Leine genommen und dann wird meine Planung nicht aufgehen. Unsere Leute haben enorm fein justierte Sensoren…. Je näher der Tag X kommt, desto stärker wird die Nervosität in mir ansteigen. Die Zweifel werden vermutlich wachsen und nicht schrumpfen. Doch ich kann die 40-Tage-Frist auch nicht abkürzen. Zum einen ist erst dann meine Internet-Studie abgeschlossen und zum anderen möchte ich das MZ zumindest soweit fertiggestellt hinterlassen, dass ich mir nichts werde vorwerfen lassen müssen. Einzig die Wohnung 3 müsste dann bis Frühling 2017 noch vollendet werden, doch dieses Projekt kann Stefan selbst anleiten, alles ist vorbereitet, alles fertig geplant. Es bräuchte mich dafür definitiv nicht mehr. Im Notfall könnte man die Wohnung auch bleiben lassen.
Mia weiss von meiner 40-Tage-Frist. Allerdings nicht von der Konsequenz die sie haben wird. Ich habe den Verdacht, dass sie intuitiv spürt, dass etwas auf uns zukommt. Sie sagte in letzter Zeit wiederholt, dass sie mich unendlich liebt und immer bei mir bleiben wolle. Das sind Andeutungen. Doch wenn es zu Konfrontationen im Werk kommt, wird sie sofort einknicken. Diesen Kräften wird sie niemals gewachsen sein. Darum muss ich sie so weit raushalten wie möglich, damit sie mir im Konfrontationsfall nicht gut gemeint in den Rücken fällt. Meine Exit-Planung sieht daher einen Spezial-Coup vor, um sie aus dieser Zange heraus zu bringen. Ein gemeinsames Untertauchen würde nicht funktionieren.
Wichtig ist jetzt, dass ich mich in den kommenden Wochen wirklich noch einmal absolut auf meinen Job konzentriere und ihn auf allerhöchstem Niveau beende. Ich darf nicht ständig abgelenkt sein von Gedanken über das Danach. Am besten ich bekehre mich noch einmal richtig rigoros hinein in mein gehorsames ICH und zappe für die 3 kommenden Wochen nicht ein einziges Mal mehr rüber, damit ich authentisch bin. Anders wird es vermutlich nicht klappen. Aber kann ich das noch?
Entweder mächtige Zeichen des Himmels katapultieren mich nun wieder ganz ins Zentrum der Bewegung meines Vaters – und das werden nur noch ganz große Kaliber schaffen – oder ich werde es hinkriegen müssen, wie ein Blitz aus heiterem Himmel unterzutauchen. Ich sehe keine Alternative, weil der interne Krieg der ansonsten ausbricht, solche Wunden schlagen wird, dass wir alle lebenslänglich geschädigt wären danach. Mein Unterbewusstsein würde eines Tages unter den Prognosen (Flüchen) meiner Familie kollabieren, ich würde mein Unheil selber erschaffen, weil ich daran glauben würde. Zumindest in Todesmomenten, wie sie auch auf dem neuen Weg mit Sicherheit kommen werden.
Ich selbst könnte dem offenen Widerstand in einem eskalierenden Streit nicht widerstehen und eine lebenslängliche Feindschaft wäre dann sowieso alternativlos. Das will ich nicht. Vielleicht geht es auch anders. Und vielleicht rettet mich ja auch der Gott meines Vaters, wer weiss.
Nachtrag: Besonders hinzuweisen ist auf Ziff. 3 dieses Tagebucheintrags: Auf dem Geburtstagsfest in Gailingen wurde mir klar, dass Pa den Auftrag erteilt hatte, mich zum schweigen zu bringen, noch bevor er das Ergebnis meiner von ihm selbst verlangten Drehbuchprüfung (Quelle 07, Ziff. 2; Quelle 08 - Quellenprüfung NASA-Film) überhaupt gelesen hatte. Er war völlig offensichtlich nicht im Geringsten an der Wahrheit interessiert. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Quelle 14
Diesen Tagebucheintrag veröffentliche ich in Teilen, weil er belegt, dass ich die Idee, nach meinem Ausstieg ein Rechtsstudium anzupeilen, erst bekam, nachdem die Entscheidung für den Ausstieg längst gefallen war. Die OCG behauptet nach wie vor, es sei umgekehrt gewesen.
08. August 2016, Montag (Klartext)
Leider kann ich in dieser Übergangs-Phase nicht alles in mein Tagebuch schreiben, weil Mia es aktuell rege liest. Sie weiss, dass ich in einer grossen Prüfung stecke und was ich in mein Tagebuch schreibe, ist genau so viel, wie sie es momentan ertragen kann. Würde ich komplett Klartext schreiben, ich vermute, sie könnte mich gut verstehen, doch es würde sie so sehr beschäftigen, dass wir im Werk in eine Konfrontation hineingeraten würden. Und das darf jetzt im Moment nicht geschehen.
Heute Nacht lag ich lange wach im Bett und ohne es zu suchen, hob sich plötzlich ein Schleier in mir. Auf einmal sah ich etwas wie erste Konturen meiner Zukunft, wie sie mein tatsächliches Schicksal sein könnte. Bis jetzt war mir vor allem klar gewesen, dass es so nicht weiter gehen kann wie bisher. Doch was würde ich stattdessen tun? Würde ich als Schreiner, oder als begabter Allrounder ein normales Dasein fristen? Würde ich versuchen, mich mit der Musik selbstständig zu machen?
Ich glaube, es wird alles ganz anders kommen. (…)
Darum werde ich nach meinem bereits geplanten, überraschenden Abtauchen nach Australien, mit Mia und Flumbi wahrscheinlich wieder in die Schweiz kommen und erstmal saubere Grundlagen legen. Ich werde einen möglichst gut bezahlten Job suchen und unsere Existenz sichern. Danach werde ich versuchen, ein Studium in Recht, oder in internationalem Recht (genaue Ausrichtung müsste ich noch entscheiden) nachzuholen und in meinem Fach zu promovieren. Es wird eine sehr harte Zeit werden, denn ich bin bereits bald 32. (…)
(Erst gerade vorhin wurde mir klar, dass ich exakt heute vor 12 Jahren bei Pa einstieg. Heute ist der 8.8.2016)
Quelle 15
Nun überspringe ich die letzten Wochen des Countdowns und veröffentliche erstmals meine Tagebucheinträge von Tag 0, dem Tag meines Ausstiegs am 29. August 2016. Unverändert und ungekürzt (siehe dazu auch mein Video). Den ersten Eintrag verfasste ich frühmorgens handschriftlich, die beiden übrigen untertags auf dem Computer.
29. August 2016, Montag (Morgen)
Heute ist Tag 0. Der wahrscheinlich einschneidendste Tag meines gesamten Lebens. Ich bebe, zittere, schwitze. Doch ich weiss bis in meine tiefste Faser, dass es richtig ist, den Schritt zu tun.
Ich werde heute, sofern mir Gott gnädig ist und es gelingen lässt, das Werk meines Vaters definitiv und unumkehrbar verlassen, um ein neues Kapitel meines Lebens zu eröffnen und meine Bestimmung damit zu erfüllen. Es ist Gott, der mich ruft, nicht der Teufel, denn ich sehe Licht vor mir und nicht Finsternis. Alle Dinge haben sich geändert: So wie mich Sex in meiner Jugend verfinstert hätte und nach meiner Hochzeit ein natürlicher Teil meines Lebens wurde, so ist jetzt natürlich geworden, was vor 5 Jahren in Belgien die Hölle bewirkte. Hätte ich den Schritt damals getan, wäre es kopfloser, verantwortungsloser Teenie-Sex gewesen. Heute ist es das nicht mehr, im Gegenteil: Der Gedanke, hier zu bleiben, gähnt mich an wie ein schwarzes Loch. Meine Zeit ist gekommen.
Ich musste leider in den vergangenen 1 ½ Monaten meine wesentlichen Tagebucheinträge auf dem Computer machen, um Mia zu schonen, denn sie darf meine Bücher jederzeit lesen. Doch die vergangenen Wochen mit der detaillierten Vorbereitung des heutigen Tages waren eine derartig nervenzehrende Prüfung, dass sie dem gigantischen Druck niemals hätte Stand halten können, wenn sie alles gewusst hätte. Spätestens gestern oder vorgestern wäre sie donnernd eingekracht und hätte damit mein Leben verwirkt. Ich darf von hier nicht in einem offenen Krieg abziehen, sonst werde ich in den kommenden Wochen abstürzen und meine Bestimmung damit ebenfalls verfehlen.
Doch obwohl ich weiss, dass es für mich keinen anderen Weg mehr gibt, und obwohl ich Licht vor mir sehe, kann ich nicht garantieren, dass alles gut kommt. Ich habe überhaupt nichts im Griff. Es kann heute noch alles in die Luft fliegen. 10‘000 Dinge können schieflaufen. Und die kommenden Wochen werden DAS Todestal meines Lebens schlechthin sein. Denn meine geliebte Frau und mein kleines Flumbi bleiben für mindestens 16 Tage in einem potenziellen Inferno sondergleichen zurück, um ihre grösste Prüfung aller Zeiten zu bestehen. Ob es uns gelingen wird, steht in den Sternen. Und diese quälende Ungewissheit werde ich keine Sekunde verdrängen können.
«Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er lagert mich auf grünen Auen, er führt mich zu stillen Wassern. Er erquickt meine Seele. Er leitet mich auf Pfaden der Gerechtigkeit um seines Namens willen. Auch wenn ich wandere im Tal des Todesschattens, fürchte ich kein Unheil, denn Du bist bei mir. Dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fliesst über. Nur Güte und Gnade werden mir folgen alle Tage meines Lebens. UND ICH KEHRE ZURÜCK INS HAUS DES HERRN LEBENSLANG» Ps. 23
Quelle 16
29. August 2016, Montag (Vormittag)
Ich habe den gestrigen Tag überstanden, es war alles haarscharf. Mit Dave gabs tatsächlich eine heikle Situation.
Doch jetzt bin ich am Ende. Kurz vor dem Einknicken. Habe vorhin schluchzend Psalm 23 gelesen. Ich kann nicht mehr. Gerade eben habe ich zum ersten Mal seit 40 Tagen wieder auf den Google-News Button geklickt und sofort eine Meldung der FAZ gesehen, wonach die deutsche Bundesregierung ihre Bürger zur Anlegung eines Notvorrats aufruft. Krieg und Crash sind realistisch geworden. In Syrien brodelt es gewaltig. Ein Krieg mit Russland ist durchaus denkbar.
Bin ich wirklich nicht von Dämonen besessen? Bin ich möglicherweise kurz vor Kriegsausbruch dabei, ein Leben zu verwerfen, das mein Flumbi durch den 3. Weltkrieg retten könnte? Wäre es nicht besser, mit 2000 verbindlichen Freunden und unserer Infrastruktur dazustehen, wenn es kracht, als völlig einsam, hilflos und alleine? Um dann womöglich zum Kriegsdienst einberufen zu werden? Nichts mit Geld verdienen, nichts mit studieren, nichts mit träumen etc.
Es kann sein, dass ich heute den größten Fehler meines Lebens begehe.
Das Problem ist, dass genau diese Frequenz der Angst mich in der Vergangenheit schon genug lange angetrieben hat. Immer sind es Spekulationen. Immer steht die Katastrophe unmittelbar bevor. Immer lohnt es sich nicht mehr, ein Apfelbäumchen zu pflanzen, weil morgen die Welt ja eh untergeht. Seit Jahren geht das so und ich kann und will so nicht mehr leben. Darum entscheide ich mich heute, lieber zu scheitern, als mit diesem pessimistischen Zukunftsbild weiterzuleben. Ich will die vergangenen 3 Jahre niemals mehr wiederholen.
Ich gehe mit dem heutigen Schritt ein gigantisches Risiko ein. Doch ich nehme es in Kauf, weil ich genug davon habe, fremdbestimmt zu sein. Ich spekuliere darauf, dass es immer einen Weg gibt. Auch wenn es sogar Krieg geben sollte. Und wenn mein Vater mit seiner Zeiteinschätzung Recht behalten sollte, dann wird Gott mir vielleicht die Kraft geben, mich ihm wirklich in Staub und Asche zu unterwerfen und niemals mehr wieder meinem Stolz zu verfallen.
Aber an diesem heutigen Tag breche ich auf und nehme mein Leben selbst in die Hand.
Ich tue es, ohne zurückzublicken. Danach muss ich es durchziehen, dann wird nicht mehr gezweifelt und hinterfragt, sonst bin ich tot. Herr, gib mir die Kraft, es zu tun. Oder gib mir ein Zeichen das keiner Spekulationen mehr bedarf. Wie abgemacht. Du hast noch einige Stunden Zeit.
Quelle 17
29. August 2016, Montag (Nacht)
Der heutige Tag war der allerschlimmste meines gesamten bisherigen Lebens. Gellender, schlingernder, gleißender, wahnsinniger Schmerz. Es ist eine Sache, darüber nachzudenken, sich das Herz aus der Brust zu reißen und eine ganz andere, es tatsächlich zu tun. Heute habe ich es tatsächlich getan. Oh Gott, sei mir gnädig. Ich bin so verloren.
Schlimmere Momente als diesen, als ich mein geliebtes Flumbi in meinem Büro vielleicht zum letzten Mal weinend und zitternd umklammerte, oder meine innigst geliebte Elmira zum Abschied umarmte und küsste, ohne mir anmerken lassen zu dürfen, dass es ein Abschied ist, sind für mich nicht denkbar.
Ich bin wie betäubt. Mein Leben ist zerbrochen. Meine Träume sind dahin. Alles wofür ich einst stand, steht in Flammen vor mir. Und dennoch gab es keinen Weg daran vorbei. Meine Brücken sind abgerissen, der heutige Tag war der Entscheidendste meines Lebens. Und jetzt geht er zur Neige, ich möchte nicht darüber nachdenken, was zuhause jetzt gerade abgeht. Es überfordert mich alles. Ich kann nichts mehr tragen. Ich bin so am Ende, so erschöpft. So zerbrochen.
Oh mein Gott, ich liebe dich! Bitte, oh bitte passe auf meine Liebsten auf! Bitte passe auf Flausi auf, bitte passe auf Flumbi auf, bitte passe auf Papi auf, bitte passe auf Mami auf, bitte passe auf David auf, bitte passe auf Lois auf, bitte passe auf Noemi auf, bitte passe auf Suli auf, bitte passe auf Elias auf, bitte passe auf Jöschi auf, bitte passe auf Jan Henoch auf, bitte passe auf Vogi auf, bitte passe auf Ruthli auf, bitte passe auf Boasa auf. Bitte passe auf alle meine Freunde auf.
Ich bin am Ende angekommen. Am tiefsten Punkt meines Lebens. Und dennoch wirst Du mich retten, mein Gott. Du bist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Du wirst unsere Tränen abwischen und wir werden wieder lachen, wieder fröhlich sein.
Quelle 18
Der nachfolgende Auszug stammt aus einem Whistleblowing-Fachbuch der weltweit führenden Forscher zum Thema Whistleblowing, der ProfessorInnen Kate Kenny, Wim Vanderkerckhove und Mariana Fotaki (Kenny, Kate et al: The Whistleblowing Guide : Speak-up Arrangements, Challenges and Best Practices. 1st edition, Wiley, 2019).
Seite 60 (von mir aus dem Englischen übersetzt):
Eines der frühesten und bekanntesten Beispiele für eine Katastrophe in der modernen Technikgeschichte, die hätte verhindert werden können, wenn es wirksame Meldeverfahren gegeben hätte, ist die Challenger-Katastrophe. Am 28. Januar 1986 explodierte eine Raumfähre Sekunden nach ihrem Start über Florida in den Vereinigten Staaten und tötete sieben Besatzungsmitglieder.
Morton Thiolkol Inc., der Unterauftragnehmer der NASA, der die Trägerrakete für die Challenger herstellte, wurde von einem seiner Ingenieure, Roger Boisjoly, sechs Monate vor der Explosion vor einem möglichen O-Ring-Versagen bei kalten Temperaturen gewarnt. Am Tag des Starts versuchte das Ingenieurteam des Unternehmens erneut, seine Vorgesetzten davon zu überzeugen, den Start aufgrund der Wetterbedingungen zu verschieben - vergeblich.
In der Folgezeit legte Boisjoly der Präsidentenkommission, die den Vorfall untersuchte, seine Zeugenaussage vor und veröffentlichte das Memo, in dem er seine Vorgesetzten auf die Risiken aufmerksam machte. Obwohl er seine Bedenken vor der Katastrophe nicht gegenüber den Aufsichtsbehörden geäußert hatte, ist er als Whistleblower bekannt, weil er aufdeckte, wie die Manager von Morton Thiolkol Gesundheits- und Sicherheitswarnungen missachteten.
Obwohl er später für sein mutiges und ethisches Verhalten gefeiert wurde, zahlte er persönlich einen sehr hohen Preis. Er wurde von seinen Kollegen und Managern isoliert, was dazu führte, dass sich sein geistiger und körperlicher Gesundheitszustand so sehr verschlechterte, dass er nicht mehr arbeiten konnte.
Seine Erfahrung ist ein Beispiel dafür, wie Warnhinweise von Whistleblowern nicht untersucht werden, wie Vergeltungsmaßnahmen gegen sie ergriffen werden und wie Mitarbeiter, die ihre Meinung äußern, sozial isoliert werden - alles Gründe, die zu den Hauptursachen für die weit verbreitete Kultur des Schweigens und der Geheimhaltung gehören, wie im vorangegangenen Abschnitt erläutert wurde.
Seit der Challenger-Katastrophe haben sich die Rechtsvorschriften für Whistleblowing und die Regelungen für die Meldung von Missständen im Ingenieurwesen schrittweise verbessert. Dieser Fortschritt zeigt sich in einigen jüngsten Siegen von Whistleblowern in rechtlichen Auseinandersetzungen gegen Vergeltungsmaßnahmen.
Quelle 19
Vorbemerkung: Der nachfolgende Auszug stammt aus einem Fachbuch des US-amerikanischen Whistleblower-Anwalts, Stephen Martin Kohn, der seit 1984 praktiziert und zu den erfolgreichsten Whistleblowing-Anwälten der Welt zählt (Kohn, Stephen M.: Rules for Whistleblowers: A Handbook for Doing What's Right. Lyons Press, 2023).
Seite 108 (von mir aus dem Englischen übersetzt):
Amerika war entsetzt, als am 28. Januar 1986 (…) die Raumfähre Challenger im nationalen Fernsehen explodierte. Unter den sieben toten Astronauten befand sich Christa McAuliffe, eine Highschool-Lehrerin und damit die erste zivile Person, die je als Passagierin einer Raumfahrtmission zugelassen worden war. Nach der Explosion verkündete der oberste Manager der NASA für das Shuttle-Programm schnell, dass es keinen Druck gegeben habe, die Challenger zu starten, und dass die Flugsicherheit die oberste Priorität des Programms sei.
Beides war nicht wahr. Die Öffentlichkeit erfuhr bald, dass Mitarbeiter eines privaten Auftragnehmers der NASA, Morton-Thiokol, spezielle Sicherheitsbedenken hinsichtlich der Konstruktionsmängel geäußert hatten, die letztlich die Explosion verursachten. Ihre internen Sicherheitswarnungen wurden ignoriert. Vor dem Start schüchterten hochrangige NASA-Beamte diese Ingenieure ein, die ihre Bedenken vor den Astronauten an Bord des verunglückten Fluges geheim hielten. Als die Challenger startete, beteten die Whistleblower-Ingenieure sogar, dass das Raumschiff nicht explodieren würde.
Die Challenger-Katastrophe ereignete sich genau zu dem Zeitpunkt, als die Schwachstellen in den bestehenden Gesetzen für Whistleblower offensichtlich wurden. Whistleblower deckten Korruption bei der Auftragsvergabe durch die Regierung und weit verbreitete Umweltverstöße auf und berichteten regelmäßig über absurde Kostenüberschreitungen, durch die die Steuerzahler abgezockt wurden. Die Zeitungen waren voll mit Berichten darüber, wie Auftragnehmer dem Verteidigungsministerium 7‘622 Dollar für eine Kaffeekanne, 435 Dollar für einen Hammer und 640 Dollar für einen Toilettensitz in Rechnung gestellt hatten. Die Öffentlichkeit war empört. Der Druck auf den Kongress, endlich zu handeln, war überwältigend.
Der Wandel sollte kommen. Als sich das Jahr 1986 dem Ende zuneigte, machte der Kongress ernst mit dem Schutz von Whistleblowern. Als erstes wurde der False Claims Act wieder eingeführt, ein abgeschwächtes und ignoriertes Gesetz aus der Zeit des Bürgerkriegs, das ursprünglich dazu gedacht war, Angestellte zu schützen, wie z.B. die Mitarbeiter der MortonThiokol, die zum Schweigen gebracht wurden.
Nachtrag: Der False Claims Act ist ein sektorspezifischer Erlass und daher nicht auf Whistleblower wie Edward Snowden & Co. anwendbar. Die Amerikaner gewähren keinen konsequenten Whistleblowerschutz, insbesondere wenn "nationale Sicherheitsinteressen" tangiert scheinen. Die Schweiz schneidet diesbezüglich übrigens noch schlechter ab und gewährt insbesondere in der Privatwirtschaft überhaupt keinen Whistleblowerschutz, ganz im Gegenteil. Weitere Ausführungen dazu würden den Rahmen hier sprengen. Ich habe meine Bachelorarbeit zu diesem Thema verfasst.
Quellen 20
Zuletzt hier noch weitere Quellen, auf die ich in meinem Video verweise:
NZZ-Artikel vom 17. Dezember 2023
SRF-Dok (Teil 1) vom 13. April 2022
SRF-Dok (Teil 2) vom 20. April 2022
Strg_F Doku vom 16. November 2021
Video "Mein OCG-Abschied"
Video "Was meinem Ausstieg voranging"
"Werden wir an der NASA herumgeführt?" vom 15. Juli 2016
Ich habe an der Universität St. Gallen, betreut von Prof. Dr. Schindler, eine Bachelorarbeit mit dem Titel "Whistleblowerschutz in der öffentlichen Verwaltung des Kantons St. Gallen" verfasst. Sie wurde mit der Note 5.5 (in Deutschland ca. 1.3) bewertet. Abzüge gab es in erster Linie wegen kleinerer Fehler in den Formalia. Der Inhalt wurde beinahe ausnahmslos mit Höchstbewertungen beurteilt.
*Hinweis: Bitte entschuldigt die teilweise schlechte Qualität der Quellen. Um die Schwärzungen sicher zu halten, wurden die Originalscans ausgedruckt und noch einmal eingescannt.
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